Wiedersehen mit Abraham Jaskiel
Über die Präsentation
Jüdische Familien, Künstlerinnen und Künstler waren vor 1933 ein wichtiger Bestandteil des lebendigen Leipziger Kulturlebens. Ihr Beitrag und ihr Engagement sind ebenso wie ihre Lebensgeschichten mit der Verfolgung im Nationalsozialismus, der Vertreibung und Ermordung aus dem Gedächtnis der Stadt gelöscht wurden. Ihr Fehlen hat Leerstellen hinterlassen. Diese zu füllen und an die Menschen zu erinnern ist eine wichtige Aufgabe im Umgang mit der Sammlung sowie der Geschichte des MdbK.
Die im MdbK gezeigte Präsentation vereint drei Werke Abraham Jaskiels aus seiner Leipziger Zeit: das Weiße Haus (um 1926) befindet sich seit 1936 in der Sammlung des MdbK, ein Stillleben (1927) konnte das Museum 2023 erwerben und die Leipziger Hinterhöfe (um 1928) 2024 als Schenkung der Familie Schubert aus Leipzig erhalten. Die Gemälde sind ergänzt mit Werken aus dem Sammlungsbestand: Schiffe am schwarzen Tor (1999) von Amos Yaskil sowie Stillleben mit Krügen und Früchten (1924) von Eduard Einschlag und Früchtestillleben (1923/25) von Max Schwimmer.
Das Werk "Weißes Haus"
Die kleinformatige Landschaft Abraham Jaskiels rückt ein leuchtend weißes Haus ins visuelle Zentrum des Gemäldes. Mit dem roten Dach steht es kontrastreich zu der sonst eher dunklen Farbigkeit seiner Umgebung. Das Hellblau des Himmels aber greift die Leuchtkraft auf und lässt das Werk insgesamt heiter erscheinen. Pinselführung, die flächenhaft abstrahierende Auffassung des Motivs, dunkle Umrisslinien und die starke Farbigkeit entsprechen modernen Malweisen der 1920er Jahre. Jaskiel präsentiert das Werk in der ersten „Juryfreien Kunstausstellung“ im GRASSI Museum in Leipzig 1927. Eine Reproduktion wird im Abbildungsteil des Katalogs gezeigt, damit kommt dem Gemälde eine besondere Aufmerksamkeit zu. Vermutlich noch aus der Ausstellung erwirbt die Stadt Leipzig das Werk und übereignet es gemeinsam mit einem weiteren Gemälde des Künstlers mit dem Titel „Connewitzer Gasanstalt“ im Jahr 1936 dem MdbK. Eine Rehabilitierung des Künstlers nach 1945 erfolgte während der Zeit der DDR nicht. Als für das Museum „weniger geeignet“ wurde die „Connewitzer Gasanstalt“ 1946 aus dem Sammlungsbestand an die Leipziger Stadtwerke und Verkehrsbetriebe verkauft. Das Weiße Haus blieb dem MdbK glücklicherweise erhalten und hat nun mit dem 2023 erworbenen Stillleben und dem 2024 als Geschenk eingegangenen Gemälde Leipziger Hinterhöfe wichtige Gesellschaft gefunden.
Das Werk "Leipziger Hinterhöfe"
Das Œuvre Jaskiels aus seiner Leipziger Zeit ist wenig bekannt. Mit Blick auf die Leipziger Hinterhöfe kann dennoch festgestellt werden, dass es sich hier um ein ausgesprochen typisches und repräsentatives Werk handelt. Jaskiel porträtierte die Stadt: Er schuf Gemälde mit Ansichten des heutigen Clara-Zetkin-Parks, er malte die Pleiße, die vielen Leipziger Kanäle und die Kirchen. Sein Atelier hatte er im Leipziger Süden. Möglicherweise sind in diesem Gemälde die verschachtelten Architekturen der Rückansichten der bürgerlichen Leipziger Gründerzeitbebauung zu sehen. Jaskiel vereinfacht die Architektur zu Flächen und setzt diese farbig unterschieden und klar voneinander getrennt zu einer Gesamtkomposition zusammen. Fast grafisch wirken feine, schwarze Detailzeichnungen wie die Verästelungen des Baumes, das Geländer des Balkons im Bildmittelgrund und das Gesims aus Dachpappe darüber. Über diese starken Kontraste und geometrisierenden Formen setzt er die weichen, flirrenden Blätter der Bäume und Büsche. Das Werk des Künstlers aus Leipzig changiert zwischen impressionistischen und expressionistischen Anleihen und erinnern an Landschaften und Stadtansichten seines Freundes Max Schwimmer aus der gleichen Zeit.
Der Künstler
Abraham Jaskiel wurde am 3. März 1894 in Częstochowa/heutiges Polen geboren. Er entstammt einer chassidischen Familie und einem streng religiösen Elternhaus. Vermutlich absolvierte er bei seinem Vater eine Lehre als Maler und Lackierer. 1914 ging er zunächst nach Dresden, um an der Kunstakademie zu studieren. Ab 1920 war er dann in Leipzig ansässig und weiterhin handwerklich tätig. Er wurde Mitglied des Vereins selbstständiger jüdischer Handwerker und Geschäftsführer einer Firma für Maler-, Öl- und Tapezierarbeiten. Gleichermaßen versuchte er sich als bildender Künstler zu etablieren. Mitte der 1920er Jahre war er dann als Bühnenbildner, Szenograf und Grafiker an verschiedenen Leipziger Bühnen tätig, darunter das Schauspielhaus und das Kabarett „Die Retorte“.
Im Mai 1929 heiratete er Auguste Marie Emma Toepffer (1902–1997), die aus einer katholischen Pelzhändlerfamilie stammt. Im selben Jahr konvertierte sie zum Judentum und nahm den Namen Miriam an. Auch der gemeinsame Sohn Zeev ist 1929 geboren. Jaskiel wurde als bildender Künstler immer erfolgreicher. 1927 nahm er an der ersten „Juryfreien Kunstausstellung“ im Leipziger GRASSI Museum teil. Das Werk Weißes Haus wurde aus der Ausstellung von der Stadt erworben. 1931 zeigte er Aquarelle und Gemälde in der „Ersten Großen Leipziger Kunstausstellung“, die von den vereinigten Leipziger Künstlergruppen organisiert wurde. Er stellte als Mitglied der Künstlergruppe „Die Zwanzig“ aus. Der jüdische Bildhauer und Grafiker Rudolf Saudek (1880–1965) sowie die Maler Richard Miller (1905–1959) und Kurt Voss (1892–1967) waren ebenfalls Mitglieder dieser Vereinigung. Ein Jahr später war Jaskiel mit Werken in der Gruppe „Leipziger Künstlerverein / Neue Gruppe“ beteiligt. Sein Œuvre umfasst Leipziger Stadtansichten, Porträts, Landschaften und Stillleben. Intensiv setzte er sich mit seiner neuen Heimat auseinander und diese gekonnt in Szene. Seine Straßenzüge, Park- und Kanalansichten sowie Kirchendarstellungen sind zumeist menschenleer und rücken die Natur, Architektur und den Raum in den Vordergrund. Jaskiel schafft Porträts seiner damaligen Heimatstadt und nimmt dazu oftmals eine Vogelperspektive ein. Dabei entsteht in den Werken ein spannungsvolles Gegenüber von flächig abstrahierten Architekturen, grafisch anmutenden Details und den flirrenden Blättern der Bäume und Büsche.
Abraham Jaskiel und seine Frau waren gut in die Leipziger Gesellschaft vernetzt und nahmen am regen kulturellen Leben teil. Historische Fotos zeigen sie fröhlich und lebenslustig als frisch verliebtes Paar oder von Freunden umgeben. Jaskiel bewegte sich in den intellektuellen Kreisen der Stadt. Ein Foto zeigt ihn vermutlich 1922 mit befreundeten jungen Männern und dem jüdischen Philosophen Martin Buber. Er war Vorstandsmitglied des jüdisch-literarischen Vereins, Mitglied im Leipziger Kunstverein und mit den Leipziger Künstlern Max Schwimmer (1895–1960) und Eduard Einschlag (1879–1941/42) befreundet. Schwimmer fertigte 1926 ein Porträt seines Freundes an, das sich heute in Privatbesitz befindet. Einschlag, in Leipzig geboren, stammte ebenfalls aus einer jüdischen Familie. Ihm gelang die Flucht aus Deutschland nicht. Er wurde 1938 vermutlich nach Polen abgeschoben und Anfang der 1940er Jahre nach Treblinka deportiert und ermordet.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 setzte dem Leben der Familie Jaskiel in Deutschland ein abruptes Ende. Abraham Jaskiel spürte sofort die Bedrohung und floh kurzfristig nach Polen, um von dort nach Palästina zu emigrieren. Am 11. April 1933 erreichte er Haifa und versuchte, seine Familie nachzuholen. Illegal reiste Miriam mit Zeev über den Libanon zu ihrem Mann. Dem Einsatz der hebräischen Gemeinde in Haifa und der finanziellen Unterstützung von Miriams Familie ist zu verdanken, dass die Familie Jaskiel in Palästina bleiben durfte und die britische Staatsbürgerschaft erhielt. Das schnelle Handeln rettete ihnen das Leben. Viele Familienmitglieder Abraham Jaskiels wurden Opfer der Shoah. In Neve Sha‘anan, Haifa, gelang der Familie ein Neuanfang. 1935 ist der zweite Sohn, Amos, geboren. Abraham Jaskiel war weiter künstlerisch tätig, er gründete ein Museum und eine Kunstakademie. 1987 verstirbt er in Haifa.
Dennoch zählt Abraham Jaskiel zur sogenannten verlorenen Generation: Sein Schaffen nahm aufgrund des Nationalsozialismus zunächst ein abruptes Ende und ist dann maßgeblich von der Exilerfahrung geprägt. Oftmals ist das Wissen um diese Kunstschaffenden ausgesprochen gering. Auch Jaskiel erfuhr nach 1945 in Deutschland keine angemessene Würdigung. Eine beachtliche Ausnahme bildet hier die Ausstellung „Abschied und Wiederkehr“ im Jahr 1997 in Leipzig, die von der Ephraim Carlebach Stiftung organisiert wurde und Werke Abraham Jaskiels und seiner beiden Söhne zeigte. Beide hatte er schon als Kinder selbst unterrichtet.
Amos Yaskil ist ein international bekannter Künstler. Bereits 1946 hatte er seine erste Ausstellung in Haifa. Er malt vor allem Landschaften – oftmals in großen Formaten und stark bunter Farbigkeit –, die mittels vereinfachter und abstrahierter Flächen konstruiert sind. Die intensiven, leuchtenden Farbenflächen und deren kontrastreiche Gegenüberstellung schaffen faszinierende und eindringliche Landschaftsdarstellungen aus seiner Heimat Israel. Seit 1968 sind seine Werke weltweit zu sehen. 1986 stellte er zum ersten Mal in Deutschland aus. Er lebt in Tiberias/Israel.
Veranstaltungen
Begleitend zur Präsentation werden folgende Führungen angeboten:
10.05.2025, 18:30 Uhr und 20:00 Uhr im Rahmen der Museumsnacht
14.05.2025, 18:00 Uhr Kunst im Kontext. Zur Provenienz der Werke im MdbK
15.06.2025, 11:00 Uhr im Rahmen der Jüdischen Woche
19.06.2025, 10:00 Uhr in Kooperation mit dem Besuchsprogramm ehemaliger Leipziger*innen und ihren Nachfahr*innen