Franziska Holstein

o. T. (3/18 DHV)_2021 | o. T. (4/18 DHV)_2021

Franziska Holstein, o. T. (3/18 DHV)_2021 & o. T. (4/18 DHV)_2021, Schenkung Johann Georg Ültzen, Foto: Thomas Xaver Dachs © VG Bild-Kunst Bonn, 2025
Franziska Holstein, o. T. (3/18 DHV)_2021 & o. T. (4/18 DHV)_2021, Schenkung Johann Georg Ültzen, Foto: Thomas Xaver Dachs © VG Bild-Kunst Bonn, 2025

Die große Längswand im neu eingerichteten Veranstaltungssaal schmücken zwei Wandarbeiten von Franziska Holstein, die der Sammler Johann Georg Ültzen dem MdbK geschenkt hat. Diagonal, horizontal und vertikal – das sind Konstruktionsprinzipien, die der seriellen Arbeit "DHV" (2021) von Franziska Holstein (*1978 Leipzig) zugrunde liegen. Für das MdbK realisierte Franziska Holstein zwei Arbeiten aus der Serie als raumhohe Werke.

Die Arbeit

Franziska Holstein erstellt häufig Arbeiten, die als Sequenz mehrerer Einzelbilder angelegt sind. Das gilt auch für die beiden wandfüllenden rechteckigen Felder im neuen Veranstaltungsraum des MdbK. Während an drei Wänden dieses Raumes Schallschutzelemente und Veranstaltungstechnik untergebracht sind, blieb die vierte frei. Diese Wand wird mittig von einer Tür durchbrochen, zu deren Seiten sich jeweils eine 3,5 x 5 Meter große Wandfläche ergibt. Damit waren die Flächen für Holsteins Werk vorgegeben.

Die beiden Sequenzen tragen keinen eigentlichen Titel. Ihre Motivik entstammt einer Siebdruck-Serie, die die Künstlerin 2021 geschaffen hat. Es handelt sich um die Nummern 3 (linker Hand) und 4 (rechter Hand) einer 18teiligen Folge. Die gesamte Serie ist mit der römischen Ziffer I bezeichnet. Später entstanden noch zwei weitere, ebenfalls 18-teilige Siebdruck-Serien, die diese Komposition variieren. Sie sind in den Jahren 2022 (II.) beziehungsweise 2023 (III.) entstanden.

Jedes Einzelbild dieser Serien ist ferner durch bis zu drei Buchstaben qualifiziert, die der Systematik des Bildaufbaus entsprechen: D(iagonal), H(orizontal) und V(ertikal) Ist ein Bildfeld etwa durch eine horizontale und vertikale Linearität gerastert, lautet sein Zusatz „HV“.

Die beiden Wandfelder des Vortragssaals sind jeweils durch alle drei Buchstaben bezeichnet, sie sind also diagonal, horizontal und vertikal unterteilt. Daraus ergibt sich ein komplexes Zusammenspiel von hellblauen und weißen Oberflächen. Jenseits der Einbindung in die Gesamtsequenz, stellen beide Werke die Frage, welche Farbe eigentlich flächenmäßig dominiert. Anders gefragt: Ergeben sich die Formen durch Weglassen oder Hinzufügen? Sehen wir Blau auf Weiß oder Weiß auf Blau?

Die Formatentsprechung zwischen beiden Bildfeldern stimuliert sodann dazu, das zugrundeliegende System zu ergründen. Wie hängen beide Felder zusammen? Oder, erneut anders gefragt: Was ist von der Nr. 3 zur Nr. 4 formal geschehen? Auch hierauf lässt sich die Antwort nicht ersehen. Tatsächlich scheinen die einzelnen Diagonalen identisch zu sein und von links nach rechts übertragen worden zu sein. Zugleich kommt es aber auf der horizontalen und vertikalen Achse zu Verschiebungen der Formen. Somit erscheinen beide Bildfelder formal völlig anders, sind aber im selben Moment eindeutig miteinander verbunden.

Der Reiz dieser Wandgestaltung liegt in ihrer minimalistischen Gliederung – der vertikalen, diagonalen und horizontalen Einteilung mit den sich daraus ergebenden zweifarbigen Formen – sowie in ihrer formalen Komplexität, die auf subtile Weise die Grenzen der Wahrnehmung auslotet. Aus der Zuspitzung der bildnerischen Mittel – drei Linien, zwei Farben – ergibt sich eine Parallele zur Schrift. Dabei entziehen sich Holsteins „Zeichen“ allerdings einer weiteren Sinnebene, nämlich der Semantik, also der präzisen Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung. Damit bleibt die Aufmerksamkeit auf künstlerische Qualitäten und Entscheidungen konzentriert, die den einzelnen Sequenzen, insbesondere in der Gestalt monumentaler Wandarbeiten, ihre ästhetische Wirkung geben: die Präzision der Ausführung etwa, sodass sich blaue und weiße Flächen gegenseitig steigern. Mit genauerem Hinsehen ergeben sich einzelne Details, bei denen es geradezu spannungsvoll anmutet, wie sich Farben und Formen berühren und mitunter zu durchdringen scheinen.

So ist schließlich das Wechselspiel von „Farbe als Form“ und „Form als Farbe“ das eigentliche Ereignis und Thema dieser Bilder und der ihnen zugrundliegenden Serie.

Die Künstlerin

Franziska Holstein wurde 1978 in Leipzig geboren. Von 2000 bis 2005 studierte sie Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig bei Arno Rink. Von 2005 bis 2008 war sie Meisterschülerin bei Neo Rauch.

2012 war Franziska Holstein Preisträgerin des Kunstpreises der SachsenBank. Der von 2002 bis 2014 alle zwei Jahre als Kooperation von Bank und MdbK verliehene Kunstpreis war mit einem Ankauf für die Sammlung des MdbK, einer Ausstellung und einem Katalog verbunden. Das Werk Ohne Titel (M3-12), 2012 war während der Corona-Pandemie im Leipziger Stadtraum präsent und ist aktuell im Bilderkosmos #2  zu sehen. Franziska Holstein lebt und arbeitet in Leipzig.

Preise und Stipendien
2015  Arbeitsstipendium des KKV Grafikwerkstatt Malmö, gefördert Künstlerhaus Lukas | 2014 Lithografiesymposium, Steinwerk, Leipzig | 2012- 2013 Stipendium an der Cité Internationale des Arts, Paris, verliehen von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen (KdfS) | 2012 Kunstpreis der Sachsenbank | 2012 Stipendium in Columbus, Ohio, verliehen von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen  | 2011  Arbeitsstipendium des Else-Heiliger-Fonds, Konrad-Adenauer-Stiftung | 2010 Arbeitsstipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen  | 2005 Ars Lipsiensis, Dresdner Bank, Leipzig.

Zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen.