MdbK [next;raum]
Allgemein
Der MdbK [next;raum], angesiedelt in der Raumgruppe der Sammlungspräsentation Renaissance im zweiten Obergeschoss, lädt zu neuen Möglichkeiten der Teilhabe und des Dialogs ein. Gemeinsam mit Akteurinnen und Akteuren der Stadtgesellschaft sollen die Sammlungen, ihre Präsentation und Vermittlung kritisch hinterfragt werden:
Welche Haltungen vermittelt das Museum? Wer gestaltet das Museum mit? Wie kann die Sammlung des Museums hinsichtlich ihrer Diversität erweitert werden?
Der MdbK [next;raum] wird gefördert im Programm 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft der Kulturstiftung des Bundes und unterstützt von der feministischen Bibliothek MONAliesA Leipzig.
Vision
Die Leipziger Museumskonzeption 2030 definiert Museen als „Mediatoren gesellschaftlicher Veränderung“. Inklusion und Partizipation werden als zentrale Anliegen hervorgehoben. So heißt es in dem vom Stadtrat beschlossenen Papier: „In Bezug auf die Vermittlungsarbeit werden keine Programme oder Projekte für diverse Zielgruppen angeboten, sondern wechselnde Interessengruppen bekommen Handlungsräume zugesprochen, um selbst Programme in den Museen anzubieten. Dafür könnten ihnen Räume im Ausstellungsbereich dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. […] Die besucherorientierten Museen pflegen die Verbindung zur gesellschaftlichen Realität – sie sind besondere, aber keine abgehobenen Orte.“ (Auszug aus der Museumskonzeption 2030 v. Dezember 2019, Punkte 2.2. „Transkulturalität“ u. 2.3. „Museen als Orte des aktiven gesellschaftlichen Diskurses“)
Haltung
Vor diesem Hintergrund fand in den Jahren 2021 und 2022 ein Team- und Leitbildprozess im Museum der bildenden Künste Leipzig statt. In unserem Leitbild haben wir festgehalten:„Kunstwerke regen zu Diskursen, Interaktionen und Bildung an. Partizipative Angebote, Veranstaltungen und Ausstellungen sind Grundlagen unserer zur Teilhabe einladenden Institution. Wir greifen gesellschaftlich relevante Themen auf und entwickeln Formate zur aktiven Mitgestaltung.“
Öffnung
Im Rahmen einer Neukontextualisierung der Sammlung hat das MdbK einen hierarchiearmen Ort eröffnet: den MdbK [next;raum]. Es handelt sich um einen 60 qm2 großen Raum, über den sich Akteurinnen und Akteure aus verschiedenen Teilen der Stadtgesellschaft selbst einbringen können. Hier kommen Stadt und Museum zusammen und erarbeiten Inhalte zu zeitrelevanten Themen. Der MdbK [next;raum] gibt Veranstaltungsimpulse und initiiert Interventionen zu Veränderungsprozessen. Im Vordergrund steht also die Präsentation eines persönlichen Kontextes. Die ursprüngliche Nutzung als Ausstellungsraum im 2. Obergeschoss wird zugunsten eines Labors, eines Werkstatt- und Veranstaltungsbereichs aufgegeben. Damit verhält sich das Museum nicht nur als Einrichtung der Wissensvermittlung, sondern es möchte aus den Perspektiven der Stadtgesellschaft dazulernen.
Ziele
Das Projekt versteht sich als Experimentierfeld innerhalb der Sammlungspräsentation. Es lädt zu einer breiter aufgestellten Auseinandersetzung mit Kunst außerhalb des kunsthistorischen Kanons ein.Besuchende werden zu Teilnehmenden und können damit stärker kognitiv, affektiv und aktional als lokale Öffentlichkeit in die Institution hineinwirken. Diese Form der Projektarbeit trägt dazu bei, dass das MdbK wichtige Prämissen wie Nachhaltigkeit, Partizipation und Teilhabe in die Museumsarbeit integriert. Menschen unterschiedlicher Herkunft werden eingeladen, ihre individuellen Referenzen und eigenen Sichtweisen auf spezifische Fragestellungen im Kontext des Kunstmuseums zu verwirklichen. Ihre eigenen Bearbeitungsstrategien sollen dazu beitragen, dass sich auch andere Besuchende neue Sichtweisen zutrauen. Auf diese Weise können marginalisierte Perspektiven, nicht ausgestellte, nicht gesammelte, und nicht repräsentierte Fragestellungen, Themen und Kunstwerke Relevanz erlangen.
#01 – Unterm Rock
Der MdbK [next;raum] startete mit dem Projekt Unterm Rock. Reflections on gender issues, das sich mit der Repräsentation und Rezeption von Geschlecht und Geschlechtskonstruktionen in der Sammlung des MdbK befasst. Dabei haben wir Vereine, Initiativen und Einzelpersonen aus Leipzig eingeladen, deren Perspektiven bislang im MdbK unterrepräsentiert sind. Alle, die Interesse hatten und bereit waren, eine kontinuierliche Teilnahme an acht Workshop-Terminen einzugehen, konnten mitmachen. Es gab kein Bewerbungs- und Ausschlussverfahren, was die Teilnehmenden sehr honoriert haben. Die Zusammenarbeit wurde mit einer Aufwandspauschale vergütet. Ziel war es, sich mit den Bildern und Fragen in der Gruppe zu beschäftigen, in Diskussionen und visuellen Reflexionen – ergänzt durch Hintergrundinformationen, die von Seiten des MdbK oder über Literatur, bereitgestellt von der Leipziger Bibliothek MONAliesA, einflossen. Ein Erfolg war und ist, dass der Raum mit seinen sichtbaren Ergebnissen auch innerhalb des Museums Haltungen in Frage gestellt und Diskussionen angeregt hat. Im Rahmen der Projektarbeit hat am 12. November 2022 der MdbK Gender-Day stattgefunden.
Stimmen
„Die Auseinandersetzung mit queer-feministischen Themen, wie sie hier am MdbK stattfindet, habe ich so noch in keinem anderen Museum erlebt. Insbesondere die Durchmischung und die Brüche von Epochen und Themen sowie Denkmustern ist extrem gewinnbringend und inspirierend. Die Interaktion der Künstler*innen mit der Kunst führt auch bei mir zu interaktiverem Denken/Schauen. Ich finds GROSSARTIG & wünsche mir mehr davon!“
„Ich als Frau bekomme Beklemmungen und Übelkeit und Lust, laut zu schreien.“
„Neue Bilder erschaffen. BIPoC-Flinta* einladen. Aufhören exklusiv zu sein. Eigene Machtpositionen/Privilegien anerkennen und nutzen/Platz machen. Sich selbst zuhören, nur dann ist’s möglich anderen zuzuhören. RAUM BIETEN.“
„Es soll für alle sein. Jedoch sind die meisten Bilder oft sexistisch, die Frau wird zu schwach dargestellt.“
„Warum wird Kunst, zumindest gefühlt, nur im Bildungsbürgertum gemocht -> wie kann man Kunst allen Klassen zugängig machen? -> Und wieso soll man in Museen immer nur Kunst sehen und nicht machen? Warum nicht die großen grauen Wände von Gästen gestalten lassen? Lasst uns Teil der Kunst werden. Unverständnis, weil die Darstellung nicht der Breite der Realität entspricht, keine erotischen Gefühle, weil dieses „Ideal“ kalt & unlebendig wirkt; die Reduktion ärgert mich.“
„Ich bin der Meinung, dass ein Museum quasi meinungslos sein sollte. Die Rolle des Museums ist es, die Kunstwerke möglichst wertungsfrei auszustellen. Es muss nicht dafür sorgen, verschiedene Perspektiven darzustellen, sondern diese kommen mit jedem Besucher. Jeder Betrachter hat seine eigene Sichtweise auf die Kunst und bringt sich insofern ein, dass er sein Inneres durch die Werke beeinflussen lässt.“
„Uns prägt, was und wen wir sehen. Ob im Museum oder im „echten Leben“. Ich sehe viele erfolgreiche Männer und Quotenfrauen, die oftmals als diese betitelt werden. Ich habe auch in der aktuellen Ausstellung des MDBK das Gefühl, dass diese tollen Künstler*innen genutzt werden, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Ich würde sie so gerne in einem ungeframten Kontext sehen. Hoffentlich ist das bald möglich.“
„Um ehrlich zu sein, sollte man nicht so ein Riesendrama daraus machen. Ich habe mich, bezüglich Kunst, noch nie nicht gleichberechtigt gefühlt. Es sind die einzelnen Perspektiven der Museen und Künstler, da kann ich keinen Einfluss drauf nehmen. Entweder es gefällt mir, oder eben nicht, meine Entscheidung, ob es für mich persönlich angemessen ist oder nicht.“
„Ein „Nachbarschaftstreffen“ in der Konzeptionsphase neuer Ausstellungen wäre spannend. Ich stelle mir ein gemeinsames Picknick oder ein Frühstück an einer langen Tafel im MDBK vor, bei dem sich mit den Kurator*innen, Kunstvermittler*innen etc. über die geplanten Ausstellungen ausgetauscht werden kann (offen für alle).“
„Die Werke sollten mit Kommentaren versehen werden können; es sollten mehr Diskussionen über die Ausstellungen stattfinden, regelmäßige Projekte wie der next_raum.“
Bewertung
Das MdbK setzt sich in seinen Ausstellungen und Sammlungspräsentationen regelmäßig mit gesellschaftspolitischen Themen auseinander.[1] Zum MdbK [next;raum] waren explizit Menschen eingeladen, die Interesse an der Thematik hatten – ohne Voraussetzung hinsichtlich ihres Bildungshintergrunds und ohne Frage nach ihrer Affinität zur bildenden Kunst. Zentral war der Austausch zwischen den Teilnehmenden untereinander und mit den Museumsmitarbeiter*innen. Das Ergebnis des Prozesses gibt auch Anlass zur Kritik (vgl. z.B. Kreuzer 11/2022), mit der wir uns auseinandersetzen. Sie zeigt vor allem, dass wir das Experiment MdbK [next;raum] weiter erläutern müssen. So wird etwa kritisch gefragt: Was darf im musealen Raum eigentlich passieren? Wer darf dort deuten und sprechen? Welche Wissens- und Kunstbegriffe lassen wir im Museum zu?
Auch jenseits von Ausstellungsformaten bieten wir experimentelle Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Kunst. Wir beschreiten dazu, gemeinsam mit interessierten Einzelpersonen und Initiativen sowie mit den Besucher*innen, alternative Ebenen der Deutung und lassen neue Räume der Teilhabe entstehen. Wir erkennen die unterschiedlichen Lebens-, Wissens- und Erfahrungshintergründe jeder*s Einzelnen als Expertise in eigener Sache an, die wertvoll ist und die das MdbK bereichert. Daher möchten wir diesen Stimmen auch im institutionellen Kontext zuhören und ihnen Raum geben.
Ohne Zweifel ergeben sich aus dem Spannungsfeld von Kunst und Gesellschaft viele wissenschaftliche Themenfelder, die der Erforschung lohnten. Im MdbK [next;raum] geht es jedoch zuerst um die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen, die sich aus der eigenen, subjektiven Begegnung mit den Bildmedien des MdbK ergeben.
Wo Kunstwerke und Sammlungsgeschichte eine Art Würdeformel bilden sollen, für die ein unvoreingenommener Diskurs als beschämende Annäherung empfunden wird, sind Ausschlussmechanismen aufgerufen. Wenn Museen zunächst der Erwartung entsprechen sollen, verbindliches Wissen auszustellen, werden Chancen vertan.
Mitsprache zu gestatten und zu gestalten, kann mit Unzulänglichkeiten und Unfertigkeiten einhergehen, das macht Prozessarbeit aus. Museen können unfertige Orte sein. Es geht nicht mehr ausschließlich darum, Diskurse mit jenen Teilöffentlichkeiten zu führen, die ebendiese Diskurse bestimmen, sondern darum, auch mit anderen Teilen der Öffentlichkeit ins Gespräch zu kommen. Es geht darum, das Zeitgemäße nicht allein in der Aktualität akademischen Wissens zu suchen, sondern in der Aktualität des Zugangs zur Institution.
Wie kommen wir zusammen?
[1] Gefördert von der Kulturstiftung des Bundes – 360° Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft, präsentiert das Haus Impulse, u. a. zu transkonfessionellen Einflüssen auf europäische Bildtradition (Luther und Abba Mikael) und zur Darstellung von Körper(-bild) und Rezeptionsgeschichte ethnischer Kennzeichnungen (Warum versklavt geboren?). Die eigene Sammlungsgeschichte, insbesondere die Repräsentation von sog. FLINTA-Künstler*innen, kam unlängst in der Ausstellung Unterschätzt. Künstlerinnen in Leipzig um 1900, 12.5.-3.10.2022) zur Sprache. Und ebenfalls im Rahmen von Ausstellungen betonen wir in besonderer Weise Fragen, wie sie im [next;raum] im Mittelpunkt standen: So etwa in der Schau mit Werken von Harry Hachmeister, in der die Fluidität heutiger Konstruktionen von Geschlechtszugehörigkeiten ein Thema war (Harry Hachmeister. Von Disko zu Disko, 3.2.-8.5.22).
Gender Day im MdbK
In diesem Jahr hat sich das MdbK – nicht nur in Ausstellungen – mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Queerness und Rollenvorstellungen auseinandergesetzt. Der Gender Day am 12. November 2022 hat sich an alle gerichtet, die sich über die genannten Fragestellungen informieren und dem MdbK darüber ins Gespräch kommen möchten. Auf dem Programm standen Performances, Gespräche und Führungen im MdbK [next;raum], ein Podiumsgespräch mit Gästen und ein kollaboratives Essen im Café Treff.
Upcoming: MdbK [next;raum] #02
Nachdem im vergangenen Jahr MdbK [next;raum] #01 das Thema Geschlecht_Gender im MdbK verhandelte, startet im Januar 2023 mit einem neuen Thema sowie einer neuen Gruppe MdbK [next;raum] #02 Verlernen | Lernen _ Unlearning | Learning. Im Rahmen der Zusammenarbeit – geplant sind zehn Workshops im Laufe des Jahres – sollen Kriterien und Begriffe wie Klasse, Rassismus, Diskriminierung, aber auch Aspekte des Museums analysiert, reflektiert und „verlernt“ werden. Zur internen Projektgruppe gehören der Direktor, ein Kurator, eine Diversitätsagentin und zwei Kunstvermittlerinnen.