Provenienzforschung

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Provenienzforschung

10.10.2015 — 31.10.2020

Arnold Böcklin, Toteninsel V, 1886, 1886 erworben durch den Leipziger Kunstverein
Arnold Böcklin, Toteninsel V, 1886, 1886 erworben durch den Leipziger Kunstverein
Lovis Corinth, Salome II, 1899/1900, 1956 Geipel Stiftung
Lovis Corinth, Salome II, 1899/1900, 1956 Geipel Stiftung
Max Klinger, Galatea, 1906, 1927 Dauerleihgabe Sammlung Gustav und Clara Kirstein, 1956 Schenkung Paul Geipel, 2000 Restitution an die Kirstein Erben
Max Klinger, Galatea, 1906, 1927 Dauerleihgabe Sammlung Gustav und Clara Kirstein, 1956 Schenkung Paul Geipel, 2000 Restitution an die Kirstein Erben
Oskar Moll: Stillleben mit Mohn und schwarzer Kanne, 1916, 1920 von der Dresdner Galerie Arnold erworben, 1937 als "entartet" beschlagnahmt, 2020 Schenkung von Bayer Kultur
Oskar Moll: Stillleben mit Mohn und schwarzer Kanne, 1916, 1920 von der Dresdner Galerie Arnold erworben, 1937 als "entartet" beschlagnahmt, 2020 Schenkung von Bayer Kultur
Max Klinger, Eine Gesandtschaft, 1882,1938 erworben von der Familie von Rosen
Max Klinger, Eine Gesandtschaft, 1882,1938 erworben von der Familie von Rosen
Johann Alexander Thiele, Leipzig von Lindenau aus gesehen, o.J., 1958 im Tausch von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erhalten, 2018 restituiert an das Haus Wettin, 2018 mithilfe einer Spende von Klaus Guggenberger, Leipzig, zurückerworben
Johann Alexander Thiele, Leipzig von Lindenau aus gesehen, o.J., 1958 im Tausch von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erhalten, 2018 restituiert an das Haus Wettin, 2018 mithilfe einer Spende von Klaus Guggenberger, Leipzig, zurückerworben
Max Klinger, Kopfstudie Elsa Asenijeff, um 1900, 1979 erworben aus dem Nachlass Felix Jung, Leipzig
Max Klinger, Kopfstudie Elsa Asenijeff, um 1900, 1979 erworben aus dem Nachlass Felix Jung, Leipzig
Max Klinger, Kopfstudie Elsa Asenijeff, um 1900, Rückseite mit dreifachem Echtheitszertifikat
Max Klinger, Kopfstudie Elsa Asenijeff, um 1900, Rückseite mit dreifachem Echtheitszertifikat
Detailaufnahme des Prägestempels „STÆDTISCHES MUSEUM LEIPZIG" auf Hendrick Avercamp, Holländische Kanallandschaft im Winter, 1898 erworben aus dem Nachlass Karl Eduard Freiherr von Liphart
Detailaufnahme des Prägestempels „STÆDTISCHES MUSEUM LEIPZIG" auf Hendrick Avercamp, Holländische Kanallandschaft im Winter, 1898 erworben aus dem Nachlass Karl Eduard Freiherr von Liphart

Von Ende 2015 bis Oktober 2020 finanzierte das in Magdeburg ansässige Deutsche Zentrum Kulturgutverluste mit zwei aufeinander folgenden Förderprojekten eine Provenienzstelle am MdbK. Damit erhielt die seit Ende der 1990er Jahre in unterschiedlicher Intensität betriebene Provenienzforschung neue Schubkraft und es konnten wichtige, bis dato offene Herkunftsfragen geklärt werden.

Lückenlose Provenienz – ein Ideal
Arnold Böcklin hat das Motiv der Toteninsel im Auftrag seines Galeristen mehrfach gemalt. Die letzte von insgesamt fünf Variationen erwarb der Leipziger Kunstverein im Jahr der Entstehung des Gemäldes für das MdbK von Böcklins Galeristen Fritz Gurlitt, Onkel des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Die originale Ankaufsquittung im Archiv des MdbK bestätigt diesen Vorgang. Die Toteninsel V* ist damit ein seltenes Beispiel für eine lückenlose Provenienz. Es gelingt nicht oft, alle Besitzer und Standorte eines Kunstwerkes von seiner Entstehung bis zum heutigen Tag benennen und mit Belegen dokumentieren zu können.

Der Kontext
In den Jahren 1933 bis 1945 wurden ca. 600.000 Kunstwerke von den Nationalsozialisten beschlagnahmt (200.000 in Deutschland und Österreich, 100.000 in West- und 300.000 in Osteuropa). Auch wenn bis heute ein großer Teil der Kunstschätze an die ehemaligen Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben wurde, ist dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen. Die klassische Provenienzforschung konzentriert sich deshalb auf die Frage, ob bei einem Kunstwerk möglicherweise ein nationalsozialistisch verfolgungsbedingter Kontext vorliegt. Handlungsgrundlage sind die im Jahr 1998 verabschiedeten Washingtoner Prinzipien. Die BRD hat sich 1999 in einer gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände verpflichtet, die Erforschung und Identifizierung von NS-verfolgungsbedingten Kulturgütern zu gewährleisten, die Eigentümer ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden.

Geipel-Stiftung
Der Dresdner Mediziner Paul Geipel (1869–1956) vermachte 1956 dem MdbK einen großen Teil seiner Kunstsammlung – über 400 Bildwerke, darunter viele Tierskulpturen des Berliner Bildhauers August Gaul, die in kürzester Zeit zu Publikumslieblingen der Leipziger Museumsbesucher wurden. Paul Geipel hatte viele Stücke direkt bei Dresdner Künstlern erworben, aber auch auf Auktionen in den 1930er und 1940er Jahren mitgeboten. Darüber hinaus kaufte er seinem Nachbarn Richard Müller in Dresden-Loschwitz einige Werke ab. Später stellte sich heraus, dass von letzteren zwei aus jüdischem Besitz stammten. Es ist davon auszugehen, dass Paul Geipel davon keine Kenntnis hatte, als er seine Sammlung dem Museum vermachte. Die Skulpturen Galatea* (ehemals Sammlung Gustav und Cläre Kirstein, Leipzig) und Porträt Reinhold Meyer* (ehemals Sammlung Richard Moritz Meyer, Berlin) von Max Klinger wurden vom MdbK an die Erben der ehemaligen Eigentümer restituiert. Nun wurde die gesamte Geipel-Stiftung einer eingehenden Prüfung unterzogen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf Werken, die ebenfalls aus der „Nachbarschaftsquelle“ Geipels stammen. Noch nicht abgeschlossen ist die Überprüfung eines der Hauptwerke der Geipel-Stiftung, der Salome* von Lovis Corinth. Hier bestehen noch Unklarheiten, wann und unter welchen Umständen das Gemälde zu dem „Nachbarn“ gelangte, bevor Paul Geipel es von diesem erwarb.

Erwerbungen der Graphischen Sammlung zwischen 1933 und 1945
Der aktuelle Forschungsschwerpunkt konzentriert sich auf die Prüfung der Ankäufe der Graphischen Sammlung. Aufgrund der oft hohen Sammlungszuwächse wurden einzelne Blätter in der Vergangenheit nicht immer sofort, sondern manchmal erst Jahre später inventarisiert. Der tatsächliche Zeitpunkt der Erwerbung muss für viele Werke also erst recherchiert werden. Der Prüfzeitraum wurde deshalb um die 1960er Jahre erweitert, um sicherzustellen, dass alle Erwerbungen zwischen 1933 und 1945 erfasst werden. Im Fokus steht der Leipziger Kunsthandel, allen voran das Auktions-Institut C. G. Boerner, ehemals Leipzig, heute Düsseldorf/New York. Zwischen dem Auktionshaus und dem MdbK bestand eine langjährige und vertraute Geschäftsbeziehung, die 1933 nicht abbrach. Da erwiesenermaßen nach 1933 zunehmend Kunstwerke aus jüdischem Besitz in den Versteigerungen angeboten wurden, werden aktuell alle Boerner-Erwerbungen auf möglichen jüdischen Vorbesitz geprüft. Das Ergebnis wird im Herbst 2020 vorliegen.

Provenienzmerkmale
Wechselnde Aufenthaltsorte hinterlassen zuweilen Spuren an den Kunstwerken selbst. Eine eingehende Prüfung der Originale führt des Öfteren zu hilfreichen Hinweisen: Ausstellungsaufkleber, Etiketten von Galerien oder Auktionshäusern, Zollstempel und immer wieder Nummerierungen. All diese Beschriftungen werden im Rahmen einer Rückseitenautopsie dokumentiert. Im Zusammenspiel mit weiteren Recherchen können auf diese Weise Angaben verifiziert werden. Im MdbK wurden in den letzten Jahren über 500 Gemälderückseiten akribisch untersucht und fotografisch dokumentiert. Das kleine ovale Gemälde Kopfstudie Elsa Asenijeff* von Max Klinger mit dreifacher Echtheitsbestätigung auf der Rückseite ist ein besonders schönes Beispiel für eine Rückseitenbeschriftung, bildet aber in dieser Ausführlichkeit eher eine Ausnahme.

Die "Aktion Entartete Kunst"
Zeitweise wurden die Erwerbungen der Grapischen Sammlung mit einem Prägestempel versehen. Im August 1937 wurden im MdbK über 300 Werke als „entartet“ beschlagnahmt, darunter viele Arbeiten auf Papier. Mithilfe des kleinen Stempels konnten einige der beschlagnahmten Blätter, die als verloren galten, wieder aufgefunden werden. Sie befinden sich heute in Museumssammlungen u. a. in Rostock, Köln oder den USA. Als hilfreich erweist sich dieser Stempel auch für die aktuell laufende eindeutige Identifizierung von Kunstwerken des MdbK im Nachlass des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der im Kunstmuseum Bern verwahrt wird.

2019 führten die Provenienzrecherchen zum Standort eines als "entartet" beschlagnahmten Stillebens von Oskar Moll*. Die Bayer AG hatte das Gemälde 1951 vom Kölnischen Kunstverein erworben. Zwar haben nach aktueller Rechtslage deutsche Museen keinen Anspruch auf Rückgabe der 1937 beschlagnahmten Werke, trotzdem entschied sich das Unternehmen zu einer Rückgabe in Form einer Schenkung. Im Januar 2020 wurde das Stillleben dem MdbK übergeben und befindet sich nun in guter Nachbarschaft zu den ebenfalls beschlagnahmten und in den 1990er Jahren zurückgekauften Gemälden Genfer Seenlandschaft I* von Oskar Kokoschka und Liebespaar* von Otto Mueller.

*Nähere Informationen zu den abgebildeten bzw. besprochenen Werken und ihrer Provenienz finden Sie hier...

Informationen zum Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. finden Sie hier...

Lovis Corinth, Salome II, 1899/1900, 1956 Geipel Stiftung
Lovis Corinth, Salome II, 1899/1900, 1956 Geipel Stiftung